Ich muss gestehen, dass ich nach dem Durchspielen eine große Leere empfinde. Nicht bloß diese "oh nein, was spiel ich nun"-Leere, sondern eine existenzielle Leere.
Dass der eigene Hauptcharakter in Wahrheit gar nicht mehr am Leben ist, wird ja schon recht früh angedeutet und war mir spätestens seit Rynéus' Aussage, es fühle sich so an, als sei man gar nicht wirklich da, ziemlich klar. Überhaupt, Rynéus. Die Art, wie ein tragisches Schicksal in eine bonbonbunte heile Welt verwandelt wird, die von Anfang an leise erkennen lässt, dass irgendwas nicht stimmen kann, und dann ganz langsam ins Albtraumhafte abdriftet - absolut meisterhaft gemacht, aber es ging mir an die Nieren.
Das war so ein Abschnitt, der dem im Hintergrund leise vorhandenen Weltschmerz (den wahrscheinlich jeder kennt, der sich für Fantasy und Rollenspiele begeistert, denn die Neigung zum Eskapismus fällt ja nicht einfach vom Himmel) einen kräftigen Stich verpasst hat.
Aber ich schweife ab.
Nach einer langen Geschichte, die auf den letzten Metern einen grausamen Schwenk von einer verzweifelten Hoffnung zur Vergeblichkeit menschlichen Strebens vollzieht, war ich angesichts der Wahl zwischen der Aufgabe meines Un-Lebens für ein Fünkchen Hoffnung und meiner Flucht in ein Wolkenkuckucksheim, um letztlich zu einer Gottheit zu werden, ziemlich überfordert.
Ich habe mich dann für das Selbstopfer entschieden, weil es einfach Sinn ergab. Ich selbst nur eine Projektion, ein grausamer Scherz der Kräfte, die die Menschheit verschlingen wollen, Calia als Botin einer Millionen Jahre alten Weisheit, die die Menschheit in ihrer dunkelsten Stunde noch retten könnte ...
... aber es hat sich so leer angefühlt, so furchtbar leer und grausam. Calia war mir ans Herz gewachsen, und auch wenn ihr Abschied sehr tapfer und kurz ausfiel, sank mir doch das Herz bei dem Gedanken, sie ganz zu Beginn unserer gemeinsamen Geschichte wieder zu verlassen und auf eine Mission zu schicken, die noch viel verzweifelter und unwahrscheinlicher schien als die, die soeben gescheitert war. Ich zog es durch, doch das Ende gab mir keinen Trost. Ich fühlte mich nicht wie ein Geist, der seine Aufgabe erfüllt hat und endlich seinen Frieden findet, sondern einfach nur bitter und leer.
Also habe ich meinem Schicksal ein Schnippchen geschlagen und neu geladen. Ich habe mich gegen die Menschheit gestellt und für ein Leben mit Calia und eine Ewigkeit als Gottheit in einer Stadt über den Wolken entschieden. Das war ein tröstlicheres Ende. Wie gesagt, Calia ist mir im Spiel ans Herz gewachsen, und der Gedanke, dass mein Avatar sie zur Königin seiner Welt, zur Liebe seines Lebens erhebt, gefiel mir sehr.
Aber es schlichen sich Zweifel ein. Calia ist ein Mensch, sterblich, ihre Lebensspanne geradezu ein unbedeutendes Flackern verglichen mit der Ewigkeit, die ich warten muss, um meine egoistische Entscheidung einem höheren Gut zu widmen. Ich würde sie aufblühen, verwelken und schließlich sterben sehen, und irgendwann wäre sie nur noch eine blasse, idealisierte Erinnerung an den schönen Traum vom Menschsein. Und was wäre mit meinen Erfolgsaussichten? Wie gesagt, ich bin nur eine Illusion, eine Marionette der Hohen, die fest an den eigenen freien Willen glaubt. Wer kann mir garantieren, dass ich nach dem Tod des letzten Menschen, der an mich geglaubt hat, nicht einfach aufhöre zu existieren? Wer sagt, dass diese Hoffnung mehr ist als ein Hirngespinst eines Narren, der sich in den Jahrmillionen selbstverschuldeter Isolationshaft in seiner Höhle seinen Tagträumen und Allmachtsfantasien hingegeben hat, während er in Wahrheit nicht einmal eine Fliege hätte verscheuchen können? Wer sagt, dass mein Bewusstsein die Unsterblichkeit erlangen kann und nach den Äonen des Wartens auch in der Lage sein wird, den Menschen der Zukunft das Menschsein auszutreiben? Wäre das überhaupt eine erstrebenswerte Menschheit, die nur deshalb nicht von den Hohen verschlungen wird, weil ihre diktatorische Gottheit sie solange gängelt, bis sie alle ihre Schwächen verliert?
Ist die Flucht mit Calia am Ende nicht genau das, was Rynéus mithilfe seines schwarzen Steins getan hat? Die Flucht vor der Realität in eine Traumwelt, die zuerst Trost spendet, aber bei genauerem Hinsehen hohl und durchsichtig wird?
...
Ich musste diese Gedanken einfach aufschreiben, um sie zu verarbeiten. Noch nie hat mich ein Spiel so nachhaltig zum Grübeln gebracht. Ein wahres Meisterwerk, ich ziehe den Hut!