Der Schlächter von Ark - Analyse und Bezug zur MQ (Spoiler!)

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ArsCortica
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Hallo,

nachdem ich nach langen Suchen endlich das letzte in-game Buch über den Schlächter von Ark gefunden und auch den Anhang gelesen habe, stellen sich natürlich sofort Parallelen mit den Geschehnissen von Enderal ein:

Jaél Gerbersohn wird, genau wie der Spielercharakter und sowohl Jespar als auch Calia von Schuldgefühlen getrieben.

- Jaél gibt seiner eigenen Schwäche (seinen "Dämonen", wie es der verehrte Herr Vater immer so gerne sagte) Schuld am Tod seiner Eltern und projiziert sie auf Dritte, durch deren Tod er sich von seiner Schuld rein waschen und Vergebung erlangen will.

- Der Spielercharakter gibt seiner eigenen Schwäche ebenfalls die Schuld am Tod seiner Eltern (wobei nicht ganz klar ist, ob der "Bastard" der Familie der PC oder seine kleine Schwester war). Im Gegensatz zu Jaél sucht er seine Absolution jedoch nicht im symbolischen Morden, sondern indem er die Menschheit mithilfe des Leuchtfeuers retten will.

- Jespar hegt Schuldgefühle gegenüber seiner kleinen Schwester, der er emotional nach dem Tod ihrer Mutter nicht helfen konnte/wollte sowie gegenüber seiner ehemaligen Gefährtin, weil er bei einem Angriff geflohen ist und sie einfach hat sterben lassen. Er scheut sich davor, Verantwortung zu übernehmen und hat Bindungsängste.

- Calia für ihren Teil hat aufgrund ihres sehr sprichwörtlichen inneren Dämons und des latenten Wissens, dass sie damals ein ganzes Dorf abgefackelt hat, ebenfalls tief sitzende Komplexe. Da der Dämon nur auftaucht wenn sie intensive (negative) Emotionen erlebt, versucht sie ihre eigene Emotionalität durch rigoroses Training und ständiger Meditation auszubrennen.

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Soweit so schön. Doch obwohl der Anhang in Band 10 von Der Schlächter von Ark relativ schlüssige Argumente dafür gibt, dass Jaél tatsächlich nicht Mitglied einer geheimen Assassinengruppe, sondern einfach nur hochgradig geisteskrank ist, gibt es einige Ungereimtheiten:

1. Die verschleierte Frau: Die gute Dame kennen wir ja schon aus eigener Erfahrung - genau so wie bei Jaél hat sie auch unserem Protagonisten den ersten Stubbs in Richtung Abenteuer gegeben. Ihre genaue Natur verbleibt dubios, aber nach den Hinweisen im Spiel zu schließen, scheint sie eher so etwas wie eine anthromorphe Naturgewalt (die Personifizierung der Eventualitäten?) als ein denkendes, fühlendes Wesen zu sein. Wenn Jaél einfach nur einen schweren Dachschaden hatte, wie konnte er von ihr wissen?

2. Das Aufnahmeritual: Zugegeben, es kommt nicht oft vor, dass Personen Selbstmord begehen und dann trotz des eigenen Todes scheinbar unverletzt wieder aufstehen. Aber nein, halt, wir kennen ja durchaus jemanden der eigentlich mausetot mit Wasser in der Lunge angespült in einer Höhle liegt. Und einen (Tealor) der eigentlich jämmerlich in Nehrim erfroren ist. Tatsächlich scheint Jaél ein Paradekandidat für einen Fleischlosen zu sein - sein Wunsch/Verlangen nach Absolution ist ja so intensiv, dass er dafür im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Inklusive seiner eigenen. Interessant wäre hier die Frage, ob die Gesichter hinter den Masken aus den Gemälden die von Jael's Opfern waren, oder ob er tatsächlich ins Angesicht von Hohen gesehen hat. Beides hat in anscheinend ziemlich heftig mitgenommen.

Anmerkung: Ein weiterer Hinweis auf Jael's Status als Fleischloser wäre seine extrem schnelle Lernfähigkeiten - der depressive Dorfpriester wird innerhalb (relativ) kurzer Zeit zu einem Assassinen, der sowohl mit Klingen wie auch mit Magie hervorragend umgehen kann.

3. Der Sündennektar Zugegeben, Jaél kann nicht vollkommen unbewusst in die Vergangenheit blicken wie der Spielercharakter es gerne tut, aber dennoch gibt es eine frappierende Ähnlichkeit zwischen Jaél's angeblicher Fähigkeit, die vergangenen Sünden seiner Opfer durch ihren Tod zu sehen, und der Fähigkeit des Spielercharakters, vergangene Ereignisse durch physische Nähe zum Ort des Geschehens zu sehen.

4. Der Zyklus Nachdem Jaél zu dem Schluss gekommen ist, dass seine ganze Morderei möglicherweise erst der Grund dafür ist, dass so viele Leute von "Dämonen besessen" sind, flieht er angewidert von seinem eigenen Handel aus Ark. Am Tor trifft er seinen alten Freund und Mentor Qualian der ihm müde lächelnd mitteilt, dass das alles Teil eines Zyklus ist. Jaél erschafft die Notwendigkeit für seine Morde erst durch besagte Morde. Der Spielercharakter erschafft die Notwendigkeit für das Leuchtfeuer erst für das Leuchtfeuer. Beide sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Fleischlose und somit Marionetten der Hohen.

5. Qualian selbst Soll ja angeblich nicht existieren. Abgesehen von dem schicken Namen (die Verbindung mit "Qual" ist vermutlich nicht zufällig) scheint der Charakter aber tatsächlich recht substanzlos zu sein. Vielleicht ist er das auch - gut möglich, dass Qualian tatsächlich nur ein Trugbild ist, dass von den Hohen geschaffen wurde, um Jaél auf die "rechte Bahn" zu lenken.

Dagegen spricht allerdings Qualians Erlösung, ein zweihändiger Kriegshammer den man im Spiel finden kann. Wäre Qualian ein reines Phantom das nur in Jaél's Kopf existiert, so erscheint die Existenz dieser Waffe recht unwahrscheinlich. In Anbetracht des Namens scheint es dagegen nicht sehr unwahrscheinlich, dass Qualian mit dieser Waffe von seiner Existenz als Diener der Hohen erlöst, d.h., getötet wurde. Darüber hinaus legt Jaèls Unfähigkeit, Qualian zu erwürgen, doch irgendwie nahe, dass Qualian ebenfalls ein Fleischloser ist, der das atmen schlicht und ergreifend nicht mehr nötig hat (dies Stande jedoch im Widerspruch zum fleischlosen Spielercharakter, der immer noch ertrinken kann, regelmäßig essen muss, etc.)

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Womit wir zur Frage kommen wie viel von dem was der Schlächter von Ark schrieb real ist und wie viel, wie im Anhang beschrieben, nur blanker Wahn war.

1. Der Doppelmord im Roten Ochsen Scheint beweisbar nicht geschehen zu sein, da sich die Mordopfer laut dem Anhang noch immer bei bester Gesundheit befinden. Mann könnte jetzt argumentieren, dass auch die beiden Opfer hier als Fleischlose wiederauferstanden sind, aber dies erscheint mir eher als abwegig.

2. Der Anschlag im Bordell Sieht ebenfalls er unwahrscheinlich aus. Wir sehen im Spiel zwar nur einen kleinen Teil der augenscheinlich weitaus größeren Unterstadt, aber die Lokalität, die für den Anschlag noch am ehesten in den Sinn kommt wäre die Silberne Wolke - die allerdings architektonisch nicht zu der Beschreibung im Buch passt und vermutlich nach einem solchen Massaker auch nicht neu eröffnet worden wäre. Vielmehr stehen die misshandelten Prostituierten (insbesondere die gemarterte Aeterna) wohl eher für Jáel selbst und seine Mutter, die sich nie gegen die Übergriffe ihres Vaters (= der Kunden) währten.

3. Das Aufnahmeritual Hier wird es schon komplizierter. Dass die schwarze Waage ihre eigene kleine Bastion in irgendeiner der vielen Höhlen Enderals hat, ist nicht abwegig. Und Jaéls Selbstmord und die anschließende Wiederbelebung ist wie bereits erwähnt so gut wie garantiert die Verwandlung in einen Fleischlosen. Mit anderen Worten könnte dies das erste echte Ereignis sein, während die Sache im roten Ochsen sowie im Bordell nur Illusionen waren, mit denen die Hohen Jaél um den Verstand bringen wollten.

4. Morde als Agent der schwarzen Waage Laut dem Chronisten werden Jaél vor allem Morde und Verstümmlungen von Obdachlosen und anderen Armen in der Unterstadt angelastet, während Jaél selbst scheinbar vor allem korrupte Reiche im Visier hatte. Die Bücher liefern leider zu wenig Informationen um hier eine stimmige Aussage zu treffen - vielleicht hat Jaél tatsächlich nur Obdachlose abgestochen, aber es könnte genau so gut irgend ein anderer der moralisch eingeschränkten Unterstädter gewesen sein, während Jaèl einfach zu gut darin war, seine Spuren zu verwischen, als dass man sie ihm anhängen konnte.

5. Mord an Mitumial Dal'Joul Hier wird es interessant. Wie auch mit den vorherigen Mordern könnte man hier argumentieren, dass Jaél den Jungen Dal'Joul tatsächlich auf dem Gewissen hat, aber die schiere Symbolik der Szene lässt es eher wie einen Traum erscheinen - denn während Jaél den Adeligen umbringt, fragt er sich, warum er bei der Tötung keine Genugtuung fühlt.

Der Grund dafür wird schnell klar - Mitumial ist wesensgleich mit Jaél selbst - auch er leidet unter einem eher unangenehmen Vater, der ihm ständig Schwäche und Versagen vorwirft und auch seine Mutter mishandelt. Im Gegensatz zu Jaél hingegen hatte Mitumial begriffen, dass das Verhalten seines Vaters nicht etwa von Sünde oder Dämonen geprägt war, sondern dass die Gewalt selbst die eigene Schwäche war - Mitumials Vater projizierte seine eigene Schwäche auf andere und misshandelte sie, um diese Schwäche symbolisch zu besiegen. Genau so wie Jaéls eigener, streng religiöser Vater es tat, der in allen Dingen Dämonen sah. Genau so, wie Jaél selbst es tat, der ja auch überall Sünde und Dämonen sah, obwohl diese nur seine eigene Schwäche kombiniert mit der Schwäche seiner Opfer war.

Aber nein, so wie sein Vater wollte Mitumial nicht werden. Oder zumindest war das sein Plan - wäre da nicht dieses eine traumatische Ereignis - irgend so ein Strolch ermordet doch glatt seinen Vater während letzterer sich ein wenig in einem Bordell vergnügt. Dies wiederum führt dazu, das Mitumial diese Reformpläne über Bord wird und genau die gleichen Schwächen an den Tag legt wie sein Vater, inklusive der Prostituiertenmorde, wegen denen Jaél ihn umbringen will.

Mit anderen Worten: Der einzige Grund, warum Jaél Mitumial umbringen muss, ist Jaél selbst. Der Kreis schließt sich: Entgegen seines ursprünglichen Glaubens läutern seine Morde die Gesellschaft nicht, sondern säen nur die Saat, durch welche sie später notwendig werden. Das Leuchtfeuer zerstört die Hohen nicht, sondern gibt ihnen Kraft und macht seine eigene Existenz als Waffe gegen sie notwendig.

Jáel begreift, dass er dem Zyklus nur entkommen kann, indem er einfach nicht mitspielt, und begeht einen letzten (und vermutlich finalen) Suizid, nachdem er aus Ark geflohen ist.

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Hat Jaèl Mitumial also wirklich umgebracht? Gab es Mitumial und das Adelshaus Dal'Joul überhaupt? Schwer zu sagen. Man könnte argumentieren, dass das Resultat der Manipulation durch die Hohen so typisch ist, dass es einfach passiert sein muss, weil es ja genau so (wenn auch mit etwas anderen Requisiten) in der Hauptquest von Enderal selbst geschehen ist.

Es sei denn....

Was, wenn die Ereignisse im Spiel auch nicht real waren? Dass der Spielercharakter dem Tod durch Ertrinken gar nicht erst entkommen ist und die gesamte Handlung von Nehrim nur im langsam erlöschenden Geist des Protagonisten stattfindet, wurde schon an anderer Stelle vorgeschlagen - doch wenn dies tatsächlich der Fall wäre, so gingen sämtlich Beweise für die Echtheit von Jaèls Erlebnissen ziemlich flugs zum Teufel. Der Zyklus und das Fleischlosendasein wären nur wiederkehrende Metaphern oder psychologische Motive. Und selbst die scheinbar physische Existenz von Qalian's Erlösung wäre irrelevant, wenn der Kriegshammer nur in dem Licht-am-Ende-des-Tunnels-Szenario des Protagonisten existiert.

Ironischerweise würde das gleiche aber auch auf den Buchband des Schlächters von Ark zutreffen - auch er existiert nur in der Welt von Enderal die, wie gesagt, letztendlich nur die Illusion eines Ertrinkenden sein könnte. Man könnte bestenfalls argumentieren, dass die (immerhin recht schwer zu findenden) Bücher gewissermaßen ein unterschwelliges Zeichen dafür darstellen, dass sich der Protagonist irgendwo tief in seinem Unterbewusstsein über die illusionäre Natur der Welt im klaren ist.




PS: Hoffe, ich habe niemanden unter der Textmauer erschlagen.
John Henry Eden
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Muss schon sagen die Mauer hat erschlagendes Potenzial. Hast alles ziemlich gut zusamen gefast.
Muss auch sagen das der letzter Gedanke Sache einem immer noch keine Ruhe gibt.
ArsCortica
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Eine kleine Anmerkungen, die ich nach einer Diskussion im englischen Forum hinzufügen muss:

Die Theorie, nach welcher die Ereignisse von Nehrim nur im Kopf des Protagonisten stattfinden, während er/sie etrinkt, haken an einigen Stellen, insbesondere Solchen, wo der Protagonist durch Visionen Wissen über Ereignisse erhält, die in Nehrim stattgefunden haben, von denen aber niemand wissen sollte.

Hierzu zählt etwa das Wissen, dass Tealor Arantheal aus seinem Gefägniss entkommen aber anschließend erfroren ist (oder sein soll), sowie das Wissen, dass Narathzul Arantheals Mutter eine der Lichtgeborenen war - beides wäre mit größter Wahrscheinlichkeit nur dann im Vorwissen des Protagonisten verfügbar, wenn der Protagonist aus Nehrim ein partout tratschsüchtiges Klatschmaul gewesen wäre.
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