Gamedesigner wie Nico, Ryneus und der alte Mann
Verfasst: 14.01.2017 02:42
Zugegeben, ein überspitzter Titel. Ich möchte hier mal ein Thema ansprechen, was glaube ich noch nicht ausführlich behandelt wurde. Jedenfalls vermute ich, dass die Quest um Ryneus auch eine Abhandlung über das Verhältnis von Spieleentwickler und Spieler ist und damit von Künstler und Rezipient im Allgemeinen.
Fangen wir mit einer einfachen Beobachtung an: Ryneus möchte mit dem Maincharacter spielen (zuerst Bogenschießen), was zur Folge hat, dass wir ein Spiel im Spiel haben: wir spielen zuhause am PC einen Charakter, der mit jemandem spielt. Genauer gesagt spielen wir aber nicht „mit“ Ryneus, sondern er lässt unseren Character spielen und schaut begeistert zu. Das Bogenschießen ist seine Idee, und er steuert die Geschwindigkeit. Damit hat er den Schwierigkeitsgrad bestimmt, so wie die Entwickler von Enderal auch für uns am PC. Ryneus ist damit für den Maincharacter buchstäblich der Gamedesigner des Spiels. Und als guter Spieleentwickler steigert er den Schwierigkeitsgrad. Gut, die nächste Aufgabe ist dann eine Sammelquest, allerdings muss man manche Schmetterlinge erst finden und dann auch fangen. Hier passt mein Ansatz nicht ganz so gut. (Ich vermute, hier ging es Nico eher darum, den Spieler in eine idyllische Stimmung zu versetzen, um den Kontrast zum Questfinale zu verstärken) Jedenfalls hat Ryneus dem Maincharakter eine Belohnung fürs „Durchspielen“ versprochen – den schwarzen Stein – wie es sich für ein anständiges Spiel gehört.
Nun geht es weiter in die Höhle, und dort offenbart Ryneus den dritten Wunsch: er möchte, dass wir für immer bei ihm bleiben und mit ihm spielen, er sagt sogar, dass seine Spiele toll wären bzw. dass er sich Mühe geben wird, viel bessere Spiele zu entwerfen. Ist das nicht auch ein naiver Wunsch des Gamedesigners? Dass der Spieler weiterhin mit ihm spielt, indem er das jeweilige Spiel weiterspielt. Ein bisschen wehmütig macht es Nico offenbar schon, dass er weiß, dass der Spieler seinem Werk irgendwann den Rücken kehren wird. Dagegen will er etwas tun und arbeitet darum an einem DLC
Ryneus ist zudem der Erschaffer dieser Spielwelt "Silberhain". So wie ein Programmierer eine Welt programmiert hat, in der er sozusagen Gott ist und die „Wirklichkeit“ physisch verändern kann. Und er findet, dass der Maincharakter anders ist: er kann ihn nicht in der Weise steuern, wie die anderen Dorfbewohner. Diese kann er kontrollieren, wie ein Entwickler seine NPCs, aber nicht den Maincharakter (der in Wirklichkeit vom Spieler gesteuert wird). Das gipfelt dann in der Aussage: „du siehst zwar alles so wie die anderen, aber du machst, was du willst". Das passt einfach echt gut auf Videospiele
Wie ich alles danach da unterbringe, weiß ich noch nicht. Das ist allerdings auch nicht unbedingt nötig, da man vermutlich ohnehin nicht alles mit einem einzigen Ansatz erklären kann. Diese Ebene ist auch nur ein Aspekt: in Bezug auf die Mainstory ist Ryneus ein erschütterndes Beispiel für die menschliche Schwächen eines hilflosen Kindes, also die Realitätsflucht vor einer unerträglichen Wirklichkeit. Und auch als Geschichte über Intoleranz und Behindertenfeindlichkeit ist die Quest natürlich grandios. Aber das alles schließt sich ja nicht aus, sondern im Gegenteil, wenn das stimmt, ist es genial ineinander verzahnt.
Ein anderer „Programmierer“, der die physische Welt verändern kann, ist der alte Mann, der sein Haus verschwinden lassen kann. Er wusste auch, dass wir kommen würden, wie auch die Enderal-Entwickler. Er ist ein Künstler und fertigt Statuen von u. a. Calia und Ryneus in relevanten Situationen. In unserer Welt hat das SureAI und insbesondere Nico gemacht, also sie haben die Figuren entworfen und geschrieben und damit im übertragenen Sinne die Figuren geschnitzt. Der gemeinsame Nenner zwischen beidem ist, dass es Kunst ist – die beiden unterscheiden sich nur im Medium. Ich halte es sogar für denkbar, dass der alte Mann tatsächlich ein Stellvertreter für Nico sein soll. Der alte Mann sagt, „Kunst lässt uns hinsehen, wo der Verstand wegsehen möchte“, und erklärt: Kunst kann uns zeigen, wer wir wirklich sind. Genau darum geht es auch in Enderal: die Geschichten rund um Calia, Ryneus, und ihre Konflikte sollen uns etwas über unsere menschlichen Schwächen sagen, die jeder hat, die wir aber nicht sehen wollen.
Ich glaube aber nicht, dass hier nur ein Entwicklerkommentar abgegeben werden soll. Bestimmt hat der alte Mann auch innerhalb der Welt von Vyn eine Rolle. Vielleicht steht er für die Kunst allgemein. Das würde zumindest erklären, warum Arantheal einmal sagt, dass er eine neutrale Macht ist – Kunst kann sich eben auch für das Böse einsetzen und sich irren und ist menschlichen Schwächen unterworfen. Im Fall des alten Mannes war es Stolz („Stolz war mein Fall“). Stolz wird vom schwarzen Wächter auch als eine von mehreren Eigenschaften genannt, wegen denen die Menschen letztlich die Läuterung einleiten.
Worauf ich aber eigentlich hinaus will, ist das Verhältnis von Ryneus und dem alten Mann. Der alte Mann hat Ryneus' Statue in seinem Arbeitszimmer, also an prominenter Stelle. Ryneus ist ja auch irgendwie ein Künstler, da er die Wahrnehmung der Welt (in Silberhain) bestimmen kann. Und er hat ein Bild gemalt. Aber darauf zu sehen ist nicht die Welt, wie sie wirklich ist, sondern ein Wunsch, von dem er den Maincharacter überzeugen möchte: dass der Maincharakter und er zusammenbleiben (beide im Sonnenuntergang Hand in Hand). Vielleicht steht das für ein Verständnis von Kunst, die versucht, eine bessere Wirklichkeit herbeizuschreiben. In der Realität gibt es das ja auch: angenehme Geschichten mit Happy End, die uns als Vorbild dienen sollen. Vielleicht aber dadurch das Übel nur verschleiern, wie die Geschichte des Dorfes aber zeigt, das durch Ryneus Wunschdenken ausgelöscht wurde. Ganz anders als der alte Mann, der die Menschen durch Kunst mit ihren realen Schwächen konfrontieren möchte. Damit können wir auch erklären, warum er sich als fleischlosen Beobachter bezeichnet: er ist Beobachter, weil er für seine Arbeit die Natur des Menschen beobachtet und sieht, wie sie wirklich ist. Und fleischlos ist er, weil er eine konstante Größe menschlicher Kultur ist.
Stehen die beiden also für künstlerische Gegensätze, oder ist das alles Zufall? Dass der eine ein naives, unschuldiges Kind ist und der andere der verbitterte „alte Mann“ ist, macht es für mich aber eher noch wahrscheinlicher, dass beide als Gegensätze irgendwie zusammengehören sollen. Das alles klingt nach sehr viel Interpretation, das ist mir klar. Aber ich bin mir sicher, dass ich irgendwie auf einer vielversprechenden Fährte bin.
Fangen wir mit einer einfachen Beobachtung an: Ryneus möchte mit dem Maincharacter spielen (zuerst Bogenschießen), was zur Folge hat, dass wir ein Spiel im Spiel haben: wir spielen zuhause am PC einen Charakter, der mit jemandem spielt. Genauer gesagt spielen wir aber nicht „mit“ Ryneus, sondern er lässt unseren Character spielen und schaut begeistert zu. Das Bogenschießen ist seine Idee, und er steuert die Geschwindigkeit. Damit hat er den Schwierigkeitsgrad bestimmt, so wie die Entwickler von Enderal auch für uns am PC. Ryneus ist damit für den Maincharacter buchstäblich der Gamedesigner des Spiels. Und als guter Spieleentwickler steigert er den Schwierigkeitsgrad. Gut, die nächste Aufgabe ist dann eine Sammelquest, allerdings muss man manche Schmetterlinge erst finden und dann auch fangen. Hier passt mein Ansatz nicht ganz so gut. (Ich vermute, hier ging es Nico eher darum, den Spieler in eine idyllische Stimmung zu versetzen, um den Kontrast zum Questfinale zu verstärken) Jedenfalls hat Ryneus dem Maincharakter eine Belohnung fürs „Durchspielen“ versprochen – den schwarzen Stein – wie es sich für ein anständiges Spiel gehört.
Nun geht es weiter in die Höhle, und dort offenbart Ryneus den dritten Wunsch: er möchte, dass wir für immer bei ihm bleiben und mit ihm spielen, er sagt sogar, dass seine Spiele toll wären bzw. dass er sich Mühe geben wird, viel bessere Spiele zu entwerfen. Ist das nicht auch ein naiver Wunsch des Gamedesigners? Dass der Spieler weiterhin mit ihm spielt, indem er das jeweilige Spiel weiterspielt. Ein bisschen wehmütig macht es Nico offenbar schon, dass er weiß, dass der Spieler seinem Werk irgendwann den Rücken kehren wird. Dagegen will er etwas tun und arbeitet darum an einem DLC
Ryneus ist zudem der Erschaffer dieser Spielwelt "Silberhain". So wie ein Programmierer eine Welt programmiert hat, in der er sozusagen Gott ist und die „Wirklichkeit“ physisch verändern kann. Und er findet, dass der Maincharakter anders ist: er kann ihn nicht in der Weise steuern, wie die anderen Dorfbewohner. Diese kann er kontrollieren, wie ein Entwickler seine NPCs, aber nicht den Maincharakter (der in Wirklichkeit vom Spieler gesteuert wird). Das gipfelt dann in der Aussage: „du siehst zwar alles so wie die anderen, aber du machst, was du willst". Das passt einfach echt gut auf Videospiele
Wie ich alles danach da unterbringe, weiß ich noch nicht. Das ist allerdings auch nicht unbedingt nötig, da man vermutlich ohnehin nicht alles mit einem einzigen Ansatz erklären kann. Diese Ebene ist auch nur ein Aspekt: in Bezug auf die Mainstory ist Ryneus ein erschütterndes Beispiel für die menschliche Schwächen eines hilflosen Kindes, also die Realitätsflucht vor einer unerträglichen Wirklichkeit. Und auch als Geschichte über Intoleranz und Behindertenfeindlichkeit ist die Quest natürlich grandios. Aber das alles schließt sich ja nicht aus, sondern im Gegenteil, wenn das stimmt, ist es genial ineinander verzahnt.
Ein anderer „Programmierer“, der die physische Welt verändern kann, ist der alte Mann, der sein Haus verschwinden lassen kann. Er wusste auch, dass wir kommen würden, wie auch die Enderal-Entwickler. Er ist ein Künstler und fertigt Statuen von u. a. Calia und Ryneus in relevanten Situationen. In unserer Welt hat das SureAI und insbesondere Nico gemacht, also sie haben die Figuren entworfen und geschrieben und damit im übertragenen Sinne die Figuren geschnitzt. Der gemeinsame Nenner zwischen beidem ist, dass es Kunst ist – die beiden unterscheiden sich nur im Medium. Ich halte es sogar für denkbar, dass der alte Mann tatsächlich ein Stellvertreter für Nico sein soll. Der alte Mann sagt, „Kunst lässt uns hinsehen, wo der Verstand wegsehen möchte“, und erklärt: Kunst kann uns zeigen, wer wir wirklich sind. Genau darum geht es auch in Enderal: die Geschichten rund um Calia, Ryneus, und ihre Konflikte sollen uns etwas über unsere menschlichen Schwächen sagen, die jeder hat, die wir aber nicht sehen wollen.
Ich glaube aber nicht, dass hier nur ein Entwicklerkommentar abgegeben werden soll. Bestimmt hat der alte Mann auch innerhalb der Welt von Vyn eine Rolle. Vielleicht steht er für die Kunst allgemein. Das würde zumindest erklären, warum Arantheal einmal sagt, dass er eine neutrale Macht ist – Kunst kann sich eben auch für das Böse einsetzen und sich irren und ist menschlichen Schwächen unterworfen. Im Fall des alten Mannes war es Stolz („Stolz war mein Fall“). Stolz wird vom schwarzen Wächter auch als eine von mehreren Eigenschaften genannt, wegen denen die Menschen letztlich die Läuterung einleiten.
Worauf ich aber eigentlich hinaus will, ist das Verhältnis von Ryneus und dem alten Mann. Der alte Mann hat Ryneus' Statue in seinem Arbeitszimmer, also an prominenter Stelle. Ryneus ist ja auch irgendwie ein Künstler, da er die Wahrnehmung der Welt (in Silberhain) bestimmen kann. Und er hat ein Bild gemalt. Aber darauf zu sehen ist nicht die Welt, wie sie wirklich ist, sondern ein Wunsch, von dem er den Maincharacter überzeugen möchte: dass der Maincharakter und er zusammenbleiben (beide im Sonnenuntergang Hand in Hand). Vielleicht steht das für ein Verständnis von Kunst, die versucht, eine bessere Wirklichkeit herbeizuschreiben. In der Realität gibt es das ja auch: angenehme Geschichten mit Happy End, die uns als Vorbild dienen sollen. Vielleicht aber dadurch das Übel nur verschleiern, wie die Geschichte des Dorfes aber zeigt, das durch Ryneus Wunschdenken ausgelöscht wurde. Ganz anders als der alte Mann, der die Menschen durch Kunst mit ihren realen Schwächen konfrontieren möchte. Damit können wir auch erklären, warum er sich als fleischlosen Beobachter bezeichnet: er ist Beobachter, weil er für seine Arbeit die Natur des Menschen beobachtet und sieht, wie sie wirklich ist. Und fleischlos ist er, weil er eine konstante Größe menschlicher Kultur ist.
Stehen die beiden also für künstlerische Gegensätze, oder ist das alles Zufall? Dass der eine ein naives, unschuldiges Kind ist und der andere der verbitterte „alte Mann“ ist, macht es für mich aber eher noch wahrscheinlicher, dass beide als Gegensätze irgendwie zusammengehören sollen. Das alles klingt nach sehr viel Interpretation, das ist mir klar. Aber ich bin mir sicher, dass ich irgendwie auf einer vielversprechenden Fährte bin.