So, ich melde mich jetzt mal mit etwas Verspätung in dem Fred.
Finde die Diskussion interessant, konnte mich aber dank überstandener Influenza-Grippe nicht mehr beteiligen.
Grundsätzlich gilt gerade bei dem Thema: Mein Geschreibsel hier ist erstmal Kram der für mich logisch wirkt, ich erhebe aber keinen Anspruch auf wissenschaftliche Korrektheit oder Allgemeingültigkeit.
Wenn es um die Logik geht, sind wir frei. Aber im Bezug auf Gefühle geb ich dir recht. Die kann man sich nicht aussuchen.
Fragt sich dann nur, ob ein Mensch von seinen Gefühlen beherrscht wird oder umgekehrt.
Denke das ist auch von Mensch zu Mensch verschieden.
Ich denke das ist viel komplexer um so etwas wie einen Freien Willen durch Zusammenspiel von Emotio und Ratio zu beschreiben. Wir versuchen immer gerne alles logisch zu erklären und unsere Entscheidungen danach auszurichten, was "logisch" sein soll. Tiefere, unbewusste Prozesse spielen bei Entscheidungsfindungen eine große Rolle, das müssen nicht mal bewusste Emotionen sein. Eine Entscheidungsmöglichkeit wird überhaupt erst dann von der bewussten Ebene als solche akzeptiert, wenn sie diverse unbewusste Bewertungsprozesse durchlaufen hat - Die bewusste Wahrnehmung steht in der Regel schon vor verarbeiteten und gefilterten Informationen. Wenn man denn von so etwas wie einem Freien Willen reden kann, muss man bedenken wie sehr dieser Wille vom unbewussten Erfahrungsschatz eines Menschen "gefärbt wird". Deshalb kommen Menschen auch oft zu unterschiedlichen Schlüssen, die für sie logisch total sinnvoll erscheinen, für andere aber gar nicht. Das zu akzeptieren schiebt dieses Ding von Freien Willen und der Dominanz der Ratio erstmal ein bischen weiter weg, weil es zeigt, wie unfrei wir Entscheidungen treffen.
Da liegt auch der Grund einer meiner Überlegungen, die ich schon vor längerer Zeit hatte und mir überlegte, wie sie mit Spielen in Verbindung steht. Interessant, dass sich das Gespräch hier in eine ähnliche Richtung entwickelt hat!
Grundsätzlich ging es dabei um Überlegungen bzgl. der Theory of Mind, der Objektbeziehungstheorie und dem Begriff der Subjekt-Objekt-Spaltung. Das klingt jetzt erstmal nach alles und nix und es ist sehr theoretisch. Aber ich versuchs mal zu erklären. Sorry dafür, dass es so umfangreich wird.
Das Rahmenkonzept der Objektbeziehungstheorie ist, dass wir anders als andere Säugetiere sehr früh geboren werden, die mentalen Strukturen sich erst in den ersten Lebensjahren herausbilden und das Ich sich durch das Zusammenspiel von frühen Erfahrungen entwickelt, die zu mentalen Strukturen weiterentwickelt werden. Diese mentalen Strukturen sind Systeme von Erinnerungen, die zu einem übergreifenden Schema organisiert werden und, sehr vereinfacht ausgedrückt, persönlichkeitsbildend sind und eine Basis für die zukünfitge Bewertung von Situationen schaffen - Und diese mentalen Strukturen bieten so etwas wie ein "Kernel" für das Bewusstsein.
Eine wesentliche Komponente der mentalen Strukturierung ist die Erkentniss des Unterschieds zu anderen Objekten - Mit Objekten meine ich nicht nur andere Menschen, sondern grundsätzlich die Umgebung, die einen umgibt. Zu erkennen, dass Objekte "da draußen" vom Subjekt, also mir, getrennt sind, eigenständig nach ihren Interessen handeln, sich der Kontrolle entziehen - Das findet im Zuge der Strukturierung statt und ist nach Erkentnissen der Psychologie bei Kleinkindern noch nicht ausgeprägt, sondern wird entwickelt. Es ist sozusagen keine bewusste Trennung zwischen mir und dir vorhanden, wenn ich noch nicht verstanden habe, dass es ein "Du" gibt. Und dieses "Du" wird nicht dadurch verstanden, dass die Umgebung tut was ich will und immer nett zu mir ist, sondern dadurch, dass sie sich von mir unterscheidet, in Situationen in denen die Umgebung feindselig wirkt oder eine Zusammenarbeit verweigert. Die Erkentniss des Unterschieds und der Trennung von anderen findet also dann statt, wenn die Umgebung etwas ablehnt, das ich will. Das klingt trivial, ist es aber kaum, weil die Situationen jeder Mensch erleben wird, aber natürlich immer unterschiedlich, weil sich seine Umgebung unterscheidet. Karl Jaspers nannte das Erkennen von Trennung der Umgebung "
Subjekt-Objekt-Spaltung".
Kombiniert man Erkentnisse der Objektbeziehungstheorie und deutet sie auf die Subjekt-Objekt-Spaltung, wird klar, dass Situationen in denen man abgelehnt wird oder die Umgebung gegen das eigene Interesse reagiert, zu einer mentalisierten Struktur der Trennung "von Dingen außerhalb von mir" führt - Bei jedem Menschen unterschiedlich, aber doch vorhanden, weil jeder die Erfahrung macht dass die Umgebung nach eigenen Interessen reagiert - Menschen, die mehr ablehnende Erfahrungen machen, natürlich umso mehr. Hier wird das Gefühl der Trennung umso stärker. Anteilig ist wohl auch immer das Bedürfnis die Trennung zu Objekten aufzuheben, eins mit der Welt zu sein, eine Rückkehr zum Urzustand - Als auch sich vor Objekten zu schützen, die negativen Effekt haben.
Dann zeigt sich die allgemeine Struktur der Sehnsucht nach Auflösung der Abgrenzung gegen andere (oder sogar gegen die Gesamtheit anderer) Objekte - Denn mit der Welt und anderen Menschen verbunden zu sein, ist ein erstrebenswerter Zustand. Das ist aber nur die eine "Seite". Die andere muss man gerade durch das Gegenteil ausdrücken: Die Sehnsucht nach stabiler, konstanter, lückenloser Abgrenzung gegen das andere Objekt. Die Anderen handeln eigen, manchmal entgegen meiner Interessen, ich will aber ein eigenständiger Mensch bleiben, der autonom ist, ich will mich vor allem vor Angriffen schützen! Diese beiden Sehnsüchte sind die entgegengesetzten Extreme zu einer "Mittellage" (sorry, ich drück das mal so aus, damits sprachlich nicht zu kompliziert wird und zu umfangreich), die um die Gleichgewichtlage "pendelt" zwischen Verschmelzungsbedürfnis und Abgrenzung mit/von dem anderen Objekt, was so eine "gesunden" stabile Bindungs- oder Beziehungsfähigkeit zu anderen Menschen ermöglicht, weil man sowohl das Gemeinsame als auch die Unterschiede akzeptiert und davon profitiert.
Das eigenartige an diesen beiden Extremen ist aber eben, dass sie in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen, d.h. sie sind genaugenommen nicht wirklich verschieden. Soll heißen:
1. Verschmelzungsphantasien (mit dem/den anderen)
2. Allmachtsphantasien (über den/die anderen)
3. Auflösungsphantasien (in dem/den anderen)
4. Abgrenzungsphantasien (gegen den/die anderen)
sind alles nur verschiedene Ausdrücke für dieselbe "innere" Subjektstruktur: Es sind keine "Komponenten", die man wirklich getrennt, isoliert voneinander betrachten kann, sondern ein ständiges Pendeln der "Grenze" zwischen mir und dir, der Subjekt-Objekt-Spaltung, und dieses ständige Pendeln macht das Auflösung dieser Grenze im normalen Leben unmöglich. Trotz allem kann das Bedürfnis bestehen, die Grenze aufzulösen, Teil von "allem" zu sein - Meditation kann das vielleicht, bei manchen Menschen Sexualität, andere fühlen sich bei den Weisssagungen der Zeugenden Jehovas verbunden. Dabei findet sich aber in Extremformen auch immer wieder ein Pendelausschlag in eine "Richtung" der Grenze und es sie kann nicht wirklich aufgelöst werden. Aber beide Seiten der Alternative können wieder in zweierlei Weisen oder zweierlei Bewegungen "realisiert" werden:
1. Meine Allmacht über dich entweder indem ich dich "vernichte" (bzw. dich zur Selbstauflösung zwinge ? z.B. humiliation) oder indem ich dich in mir (bzw. in meinem Willen) "auflöse" (bzw. dich meinem Willen unterwerfe ? z.B. slavery),
2. Meine Selbstauflösung ebenfalls in einem entweder/oder, wofür du das 1. nur passiv auszudrücken brauchst.
Diese Spannungen werden dann gerade in Machtgefällen deutlich - Menschen wollen Kontrolle über Objekte, andere wollen sie abgeben, sich dem Objekt unterwerfen, das Spektrum ist weit, angefangen von politischen Strukturen bis zu BDSM-Praktiken in der Sexualität. Die Sehnsucht nach Abgrenzung (Schutz!) und Auflösung (Verschmelzung mit Objekten!) ist ein fundamentaler Baustein der mentalen Struktur - Und die Grenze verläuft natürlich bei jedem Menschen anders! Beide Seiten, die dominante und die submissive, haben demnach sowohl Verschmelzungs- als auch Abgrenzungscharakter, sowohl Selbstauflösungs- als auch Selbstgewinnungscharakter. Hier wäre es halt nur theoretisch (bzw. dialektisch-logisch) begründet. Das durchschnittliche, beziehungsfähige autonome Subjekt, das "gesunde Grenzen" zu anderen lebt und dadurch in Kontakt tritt und dabei die Balance zwischen Abgrenung und Verschmelzung hält, lebt aber jedenfalls genau zwischen diesen Extremen, oder, was ebenfalls dialektisch betrachtet dasselbe ist, in ihrer Summe.
Damit das ganze Gelaber auch einen Sinn hat: Ich halte Spiele für eine sehr fähiges Objekt, das die "Grenze" beeinflusst, und zwar besonders intensiv. Wir lernen beim Spiel schnell dass es auf uns "reagiert" und in der Regel auch so gestaltet ist, dass es unsere Bedürfnisse maximal erfüllen soll, und das ohne Ausnahme: Es erfüllt die Wunschvorstellung eines externen Objekts, es erinnert an ein altes Gefühl, an die Zeit als die Trennung zur Umwelt noch nicht so bewusst war, verbunden mit ozeanischen Glücksgefühlen, wenn ein Spiel das erreicht - "Hey, ich bekomme Süssigkeiten wenn ich sie möchte! Willkommen im Zentrum meines seelischen Universums!".
Vielleicht beschreiben Begriffe wie "Immersion" das: Sie bringen uns einen Moment dazu, die Subjekt-Objekt-Spaltung zum Teil hinter uns zu lassen und mit einem Objekt zu interagieren, bei dem die Abgrenzungstendenzen aufgelöst werden, weil sie nicht notwendig sind! Immersion = Auflösung der Grenze zum Objekt, das Gefühl von "eins sein", das im erwachsenen Kontakt mit Dingen der realen Welt so unerreichbar erscheint. Spiele sind das Substitut für das Gefühl des Getrenntseins! Man konsumiert sie nicht nur wie andere Medien, die zu eskapistischen Zwecken dienen, sie reagieren durch ihre Interaktivität auf einen wie ein menschliches Objekt! Sie tun es zuverlässiger und vorhersehbarer und verbinden es mit Eskapismus. Grund genug, Abgrenzungssehnsüchte bei dem Konsum von Spielen zu "vergessen" und voll und sich voll und ganz mit diesem Objekt (Spiel) zu verbinden. Das würde zumindest die Faszination als auch die Abhängigkeit mancher Individuen erklären - Sowie ihre stark negative Reaktion, wenn die "Verschmelzung" nicht wie erhofft funktioniert ("Scheiß Publisher, schon wieder keine 4k Unterstützung! Alles scheiße! Oh man, die scheiß Konsolengamer sind schuld! Tötet sie alle! #masterrace!").